2015


An der Jobfront hatte sich zwischenzeitlich nichts ereignet; Als mittlerweile Ü63 stempelt man schicksalsergeben vor sich hin und gibt die Hoffnung auf einen Lucky Punch nicht auf; Um sich seinen Lebensunterhalt möglichst regulär zu verdienen; Um sein Selbstwertgefühl zu steigern; Und um sich nicht stigmatisiert fühlen zu müssen.

Über die Dauer meiner Stempelzeit hatte ich mir noch keine konkreten Gedanken gemacht. Irgendwann im Mai befiel mich dann die Idee, einmal die Restdauer auszurechnen, und begann spontan, an den Fingern abzuzählen. Und siehe da: es genügte dazu eine Hand. Bis Ende Oktober waren es noch - bloss noch! - fünf Monate...

 

Juni 2015

Am Besprechungstermin 24. Juni erkundigte ich mich beim RAV-Berater, wie es mit der eventuellen Verlängerung meiner Rahmenfrist aussah. Denn beim Erstgespräch im November 2013, kurz vor meinem 61. Geburtstag, hatte ich ja Anspruch auf die Extra-Taggelder angemeldet. Die damalige Beraterin hatte mir vage in Aussicht gestellt, als Altersgrenzfall irgendwie an zusätzliche Taggelder zu kommen. Der Berater konsultierte am Bildschirm meine Daten und meinte, da sei garnichts vermerkt, nichts ersichtlich, und demnach wohl nichts vorgesehen. Aber nicht am RAV, sondern bei der Kasse sei man zuständig für Rahmenfrist-Auskünfte.

 

Anschliessend nebenan bei der Syna Arbeitslosenkasse - gleiches Haus, gleiche Etage, Tür an Tür wie ein RAV-Nebenbüro - wusste man von nichts. Und auf jeder Monatsabrechnung stünden ja schliesslich immer sämtliche Daten. Angemeldet 29.10.13, Rahmenfrist 1.11.13 bis 31.10.15, alles klar und logisch. Von wegen Grenz- oder Härtefall und Geburtstag - nichts vermerkt. Zusätzliche Taggelder? Verlängerung? Keinerlei Einträge, keine Hinweise, nichts. Somit ausser Frage und überhaupt kein Thema...

Fast greifbar stand die vorwurfsvolle Gegenfrage im Raum und in der Miene der Kassenmitarbeitenden, wie ich überhaupt auf das abstruse Hirngespinst einer Rahmenfristverlängerung hatte kommen können.

 

August 2015

Bei einem meiner Streifzüge im Internet, nach mehr oder weniger gezielter Googelei, stiess ich anfangs August unvermittelt auf ein Fundstück. Dass es starkes Zeug war, wusste ich noch nicht, als ich aus rein akademischem Interesse einem der vielversprechenderen der -zigtausenden Suchergebnisse «zusätzliche Taggelder 4 Jahre vor Rentenalter» folgte. Denn mit dem Thema hatte ich fast abgeschlossen. Mich damit abgefunden, ja sogar mit der Tatsache ausgefriedet, im Herbst 2013 noch nicht zum 61-jährigen alten Eisen gehört zu haben. Noch jung und noch zu jugendlich und deshalb – mit meinem profunden Know-how – im Arbeitsmarkt überhaupt noch nicht chancenlos gewesen zu sein.

 

An diesem Augusttag stand ich im dreiundsechzigsten Lebensjahr. Hatte ein einziges und erst noch von vornherein aussichtsloses Vorstellungsgespräch gehabt. Hatte Gedanken über das nahende Ende der Rahmenfrist verdrängt. Hatte kürzlich von der Fachfrau am Kassenschalter die Belehrung erhalten, dass es keine Grenzfall-Regelungen gab. 

 

Im Internet war ich einem Link betreffend Rentenalter gefolgt, hatte ein PDF-Dokument geöffnet und war auf auf Sprengstoff gestossen:

 

Helpstorm, der
AVIG-Praxis ALE/C95

Nach etwa viermaligem Durchlesen des schwurbligen Textes, und einem bisschen Kopfrechnen, war mir klar: hier war die Rede von einem ähnlichen Fall – einem Grenzfall. Ich war genau so eine versicherte Person. Hier ging es um dasselbe. Sogar noch besser gepasst hatte es bei mir,  denn es hatten bloss 7 Wochen "gefehlt". Hier ging es geradewegs um mich!

  

Die Entdeckung der bedeutungsschwangeren Textpassage bescherte mir ein Wechselbad von diffusen Empfindungen von Freude, Erleichterung, Hoffnung, aber auch Verzagtheit. Irgendwie hatte ich düstere Vorahnungen von unausweichlicher unergiebiger Konfrontation.

 

Die komplette Seite sah so aus:

 

Helpstorm, der
AVIG-Praxis ALE

 

Es dämmerte mir, dass in C95 Beispiel tatsächlich eine Art Grenzfall-Regelung steckte. Es sah ganz danach auch, als wäre Altersjahr 61 keine HARTE, sondern eine WEICHE (die sind schonender für die Zähne, sagte der eine Landstreicher zum anderen beim Eisenbahnschienenknabbern ;-), also keine fixe, sondern eine flexible Altersgrenze. Offenbar war LEX 61 in Wirklichkeit FLEX 61 [meine Wortkreation 2016]. Als Direktbetroffener hatte ich das nicht gewusst, und weder RAV noch Kasse hatten mich darüber informiert. 

 

WAS TUN mit dem explosiven Fund? In den nächsten Tagen telefonierte ich mit mehreren Leuten, so bei SECO Bern, AWA Zürich und bei Rechtsauskunftsstellen, um mir über die Signifikanz des Textes Gewissheit zu verschaffen und sachdienliche Hintergrundindformationen einzuholen. Bei SECO und AWA wurde ich durch mehrere Abteilungen gereicht. Niemand hatte spontan Kenntnis von den angesprochen Bestimmungen oder hatte jemals konkret damit zu tun gehabt. Es fielen Ratschläge wie mich mit eingeschriebenem Brief an die RAV-Leitung zu wenden oder mir gleich einen Rechtsanwalt zu suchen. Doch vorerst einmal meinen RAV-Berater deswegen anzusprechen sei auch keine schlechte Idee.

 

19. August 2015

Beim kurzfristig eingeschobenem RAV-Termin studierte zuerst mein Berater und hernach sein wunschgemäss beigezogener Vorgesetzter die SECO-Textauszüge auf Papier und Bildschirm. Ich wies darauf hin, dass ich mit bloss sieben Wochen vor dem 61. Geburtstag ein Härtefall gewesen bzw. immer noch war. Meiner Frage, ob das SECO-Material nicht nach so etwas wie einer Grenzfall-Regelung aussah, stimmten beide Herren mit ausweichenden "ja, aber" oder "ja, eventuell schon" unverbindlich zu. Ich führte aus, über die Aufschiebungsmöglichkeit bis anhin nichts gewusst zu haben. Das liess die Herren sehr unbeeindruckt. Dass dem RAV ein Fehler unterlaufen sein konnte, indem die damalige RAV-Beraterin beim  Erstgespräch mich darüber zu informieren versäumt hatte, wurde strikt verneint. Unisono winkten die Herren ab; dem sei keinesfalls so, denn das RAV hätte mit Rahmenfristen nichts zu tun, das sei einzig und allein Aufgabe der Kasse. Meinen unsicher vorgebrachten Einwand, es sei doch das RAV, mit dem ich fast ausschliesslich versicherungsseitig Kontakt hatte, beschwichtigte der RAV-Berater, indem er ankündigte, umgehend Abklärungen vorzunehmen. Einhellig rieten mir die Herren, mich gegenüber der Kasse kooperativ zu zeigen, falls es dann um Fristverschiebung und eventuelle Rückzahlungen gehen würde. Noch stehe konkret überhaupt nichts fest und so sei überhaupt nichts verloren.

 

Auf dem Heimweg konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, soeben abgewimmelt worden zu sein. Oder konnte es sein, dass ich Obliegenheiten und Kompetenzen des RAV solcherart komplett falsch eingeschätzt hatte?

 

Umgehend traf nächstentags ein Mail vom RAV-Berater ein. Betreff war "Taggeldverlängerung", für mich ein bis dahin unbekannter Begriff.

 

Helpstorm, der
DOK#038

 

TEIL EINS - Antwort der Arbeitslosenversicherung - las sich unschwer als Initialmassnahme einer Behördenstelle, die vorerst einmal grundsätzlich in Abwehrstellung ging, komme was da wolle. Bemerkenswert und bedenklich erschien mir das Fehlen einer Prise Wohlwollens. SECO-Grenzfallregelung AVIG-Praxis ALE/C95-Beispiel war mit keinem Buchstaben gestreift. Dass die Auswirkungen eines Zuwartens alles andere als rein hypothetisch gewesen wären, ging ebenso total unter.

 

TEIL ZWEI - Antwort der Arbeitslosenkasse -, wonach ich als Versicherter beitragszeitmässig qualifiziert gewesen wäre, war total erfreulich. Unerfreulich und beunruhigend war hingegen die nunmehrige Zuständigkeit von Rechtsdienst und/oder von Anwälten, Prüfung bei ALK und Behandlung meines Begehrens von der "ALV". Bereits in diesem Vorstadium liess all das nichts Gutes ahnen. 
Ziemlich skurril war zudem die Erwähnung des zu verlangenden "Formulars für eine Beschwerdefähige Verfügung". Als solches inexistent, kannte dieses ausser meiner RAV-Beraterschaft wohl keine Menschenseele.

 

31. August 2015

So verfasste und verschickte ich am Montag 31. August diese Bittschrift, versehen mit sämtlichen Referenzen und Identifikationsnummern, an die Adresse der regional zuständigen Arbeitslosenkasse Syna.

Helpstorm, der
D#040

 

Dann geschah vorerst einmal - nichts. Nun, es war wohl so, dass, na ja, man konnte ja nicht immer nullkommaplötzlich etwas erwarten, denn so eine Kasse hatte sicher ziemlich viele Klienten, ich war vielleicht nicht der einzige mit einem Sonderwunsch....... So begann ich erstmals, eigentümliche Aspekte und Eigenheiten der Situation kennenzulernen.

 

Am Montag 14. September 2015 informierte ich telefonisch meinen RAV-Berater, dass mein Schreiben noch unbeantwortet war.

 


29. September 2015

Am Monatsende traf endlich Kassenpost ein. Und zwar dicke Post.

Dicke Post: auf fünf Seiten ausgewalzte und aufgebauschte Abwimmlung meiner Reklamation. Von so etwas ist man als versicherte Person vorerst einmal einfach überfahren und erschlagen. Die schiere Wortgewalt, die einem entgegenbrandet; diese amtliche Autorität, diese Bestimmtheit und Endgültigkeit des Verdikts - all das nimmt einem fast den Wind aus den Segeln. 

 

Ein bemerkenswertes Detail ganz am Anfang fiel mir erst einige Zeit später auf: auf Seite 1 stand da geschrieben "... bezahlte Arbeitslosenentschädigung (...) vom 01.11.2013 bis 31.10.2015" - dabei schrieben wir ja noch September 2015.

 


2. Oktober 2015

Mit dem starken Gefühl, mit fadenscheinigen Argumenten abgewimmelt worden zu sein, verfasste ich eine starke Einsprache.

Helpstorm
D#050

Die Tage und Wochen plätscherten danach dahin wie gewohnt, aber nur fast; denn hin und wieder beunruhigte mich der Gedanke, dass unsere längere Auslandreise vom Spätherbst 2013, von RAV-Beraterin Erb als unbezahlte Ferien durchgewinkt, versicherungstechnisch bedeutungsvoll gewesen war und sich irgendwie als vorteilhaft erweisen hätte sollen.

 

26. Oktober 2015 - TELEFONAT

Es war der letzte Monat meiner Rahmenfrist, dessen Tage dahinrieselten wie bei einer Sanduhr. Die Antwort der Kasse liess auf sich warten, bis mir der Geduldsfaden riss. Frau D. Reist (Name geändert) vom Syna-Rechtsdienst gab sich erstaunt bei meiner telefonischen Nachfrage nach dem Verbleib der Antwort. Die Situation sei ja die gleiche wie gehabt, und die Antwort sei daher auch gleich wie schon auf die Reklamation. Es gäbe keine Änderung gegenüber der Verfügung, und der Entscheid werde mir nächstens ...; Mit der gebotenen Höflichkeit unterbrach ich Frau Reist mit dem Einwand, dass die vier Wochen Auslandreise in November-Dezember 2013 sicherlich einen Einfluss zeitigen müssten. Diese Zeit hätte ich als stellen- und einkommenslos längst abgehakt gehabt, und versicherungstechnisch musste sich das doch irgendwie auswirk... Nein, einen Einfluss hätten diese unbezahlten Ferien nicht, beteuerte Frau D. Reist vorlaut und energisch; und ich könne demnächst alles im Entscheid nachlesen. Ihre Aussage erschien mir als ebenso dubios, ausweichend und unaufrichtig wie schon die Verfügung. Hinzu kam noch ihre penetrant arrogante Art, mir ins Wort zu fallen, alles von oben herab besser zu wissen und sich darüber erstaunt zu geben, dass man anderer Meinung sein konnte. Während des Telefongesprächs hatte sich meine Antipathie gegenüber Frau Reist rapide gefestigt.

 


27. Oktober 2015

Nächstentags erhielt ich aus dem Kassenhauptsitz Olten von Rechtsdienstmitarbeiterin D. Reist - fast einen Monat nach meiner Einsprache - per Mail "vorab" endlich den Entscheid.

Helpstorm
D#053

Diesmal noch dickere Post, angeblich aus Wetzikon, doch in Wahrheit aus Olten: sechs Seiten voller legalen Jargons, nur scheinbar ohne Sorgfalt zusammengeschustert (Postleitzahl passt nicht zur Ortschaft, und auch diese ist falsch); in Wahrheit systematisch angehäuft zur möglichst effizienten Verschleierung von Tatsachen und zur Ablenkung von Versäumnissen und von den berechtigten Fragen - faktisch wiederum eine beinahe undurchdringliche Nebelwand zu meiner Verwirrung, Verunsicherung, Entmutigung und Abwimmlung.

 


In den folgenden Tagen und Nächten wälzte ich die Frage, ob ich die Argumentation des Kassen-Rechtsdienstes für bare Münze nehmen und die Abwimmlung akzeptieren konnte. Doch zu nebulös, aufgebauscht und fadenscheinig waren die beiden Syna-Schreiben, Verfügung und Einspracheentscheid mit Blick auf ALE /C95 Beispiel. Auch hatte ich noch die Behauptung der Syna-Juristin im Ohr, die vier Wochen Auslandreise hätten keine Rolle gespielt. So schrieb ich übers Wochenende erstmals im Leben eine Beschwerde an ein Gericht, was schon für Normalos ein Ausnahmefall und mithin eine beträchtliche Hürde sein dürfte, und erst recht für einen im Selbstvertrauen dezimierten, deprimierten und stigmatisierten Ausgesteuerten.

2. NOVEMBER 2015

Helpstorm
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D#064